Pflanzen im Einsatz in der Medizin
Vorwärts in die Vergangenheit
Dieser Health 4 Me -BlogBeitrag ist einer, der für mich selbst wohl am inspirierendsten und anregendsten war. In der heutigen Zeit bekommt man leicht den Eindruck: Arzneimittel ist alles.
Ein Exkurs in die Vergangenheit und Geschichte der Medizin zeigt: DAS war nicht immer so – im Gegenteil!
Wen Seefahrer, Abenteurer und Entdecker früherer Zeiten faszinieren, so wie mich von Kindesbeinen an, findet in diesem Health 4 Me – BlogBeitrag eine kurze Exkursion vorwärts in die Vergangenheit und kehrt zurück mit wertvoller Inspiration für die Zukunft!
Über Jahrhunderte, Jahrtausende gab es sehr spannende Zugänge, Konzepte und Erforschungen der Natur, Pflanzenheilkunde samt Anwendungen, die maßgeblich die Therapie, Genesung, Heilung prägten – wie man sieht auch mit akademischem Anspruch samt universitärem Niveau.
Grund genug, gemeinsam in großen Etappen diese Geschichte Revue passieren zu lassen – ich persönlich nehme mit, mich hier mehr zu vertiefen – man sollte viel mehr über die Geschichte der Medizin lernen.
Ich bin froh, dass den Teilnehmenden des Ärztekammer-approbierten und zertifizierten Diplomlehrgangs Auszüge dazu vom renommierten Pharmakologen em. o. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Kubelka näher gebracht wurden – welch ein Gewinn und Erweiterung der Perspektive auf die Medizin und ärztliche Heilkunst.
Aber, verlieren wir keine Zeit!
Folgen Sie mir zunächst mal ins Jahr 1811 …
Der Beginn der universitären Heilpflanzen-Tradition
Es war 1811, als Dr. Wilhelm Joseph Schmitt das Lehrbuch der „Materia Medica“ herausgab, das hinterlassene Handschriften von Dr. Johann Adam Schmidt zur „Arzeneyenkunde“ beinhaltete.
Wer war nun Dr. Johann Adam Schmidt (1759 – 1809) – war er Scharlatan, Hexer oder Phantast, da er sich mit der Heilkraft von Pflanzen auseinander setzte? Nein !
Im Gegenteil, er war ein ehrwürdiger Arzt seiner Zeit:
- Medizinischer und Chirurgischer Doktor
- Weiland des kaiserlich königlichen Österreichischen Rathes
- Stabsfeld-Arzt
- Beisitzer der der permanenten Feld-Sanitäts-Commision
- ordentlicher, öffentlicher Lehrer der allgemeinen Pathologie, Therapie und Materia Medica an der kaiserlich-königlichen medizinisch-chirurgischen Josephs-Akademie zu Wien
- Mitglied dieser Akademie als auch mehrerer auswärtigen, gelehrten Gesellschaften
- Ophthalmologie
- letztlich Arzt und Freund von Ludiwig van Beethofen
Es zeigt sich, dass damals Gesundheitsthemen vor allem von ÄrztInnen und MedizinerInnen voran getrieben wurden – nicht von Personen, die primär ökonomische Interesssen davon ableiteten.
Dies bedeutet, seit dem 18./19. Jahrhundert hat Österreich universitäre Tradition, was die Nutzung von Heilpflanzen und Heilkräutern betrifft.
Als Pharmakognosie wurde die Kenntnis, griechisch: gnosis, von Arzneimitteln und Giften bezeichnet, die Pharmacodynamik, die Lehre der „Arzeneyenkräfte“.
1849 wurde hierfür das Institut für Pathologie, Pharmakologie und Pharmakognosie gegründet, das sich letztlich 1904 aufteilte
- in das pharmakognostische Institut am Institut für Pharmakognosie und Abteilung für Pharmakognosie an der Alma Mater Rudolphina, Hautuniversität Wien für Studierende der Pharmakologie
- in das Institut für Pharmakologie der Medizinischen Fakultät der Alma Mater Rudolphina, Hauptuniversität Wien für Studierende der Medizin
Bis 1994 war das pharmakognostische Institut am sogenannten Josephinum in der Währingerstraße 1090 Wien beheimatet und übersiedelte danach in das Pharmaziezentrum nächst Spittelau.
Heute bezeichnet die Pharmakognosie nicht nur
- biogene Arzneimittel und Gifte, das heißt vor allem pflanzliche Arzneimittel – Photo-Pharmaka
- sondern auch biotechnologisch, gentechnisch hergestellte Arzneimittel im Sinne von Naturstoffen
Aber langsam mit den Pferden … wie kam es, dass dieser ehrwürdige Arzt diese Handschriften als Fazit jahrhunderter und jahrtausende Jahre Anwendung zusammenfassen konnte?
Frühe schriftliche Aufzeichnungen vor Christus
… belegt das Papyrus Ebers 1550 vor Christus, dass die Ägypter Pflanzen als Therapie nutzten – am Beispiel der Meerzwiebel.
Das Prinzip der Anwendung war klar – „Versuch und Irrtum“. Die Pflanzen wurden eingeteilt in
- essbar
- ungenießbar
- giftig
- heilsam
Zugegeben, giftige Pflanzen zu sich zu nehmen barg einiges an Risiko in sich – bis hin zum Tod.
Auch in Indien fanden Pflanzen Einsatz in der Heilunde im Rahmen von Ayurveda und in China im Rahmen der traditionell chinesischen Medizin, TCM.
Beide hielten sich in Kultur und Tradition der Genesung und Heilung bis heute.
Hier kommt die bereits erwähnte Anwendungserfahrung zum Tragen, wobei heutzutage wissenschaftliche Studien die Wirkung, Sicherheit und Qualität von TCM und Ayurveda naturwissenschaftlich belegen und bestätigen.
Berühmte Ärzte der Antike
… setzten auf die Kraft der Pflanzen. In Persien, Arabien, Griechenland als auch im alten Rom waren Pflanzen wesentliche Basis von Heilanwendungen.
Hippokrates von Kos wirkte 460 – 377 vor Christus und bezog die Heilkraft von Pflanzen in sein Wirken maßgeblich mit ein.
Dioscurides, 40 – 90 nach Christus, nimmt in den ihm nachfolgenden Jahrhunderten eine zentrale Rolle ein. Er beschrieb 1000 Arzneimittel (813 pflanzlichen, 101 tierischen und 102 mineralischen Ursprungs) und beschreibt 4740 medizinische Anwendungen.
Er wurde im damals bedeutendsten Zentrum der botanisch-pharmakologischen Forschung im Römischen Reich, in Tarsos, ausgebildet. Mit seinem Werk, „De materia medica“, „Über die Arzneistoffe“, gilt er als einer der Pioniere der Pharmakologie. In diesem beschrieb er:
- Aromatische Kräuter oder Gewürze, Öle, Salben; Pflanzensäfte, Gummis, Harze und Früchte von Bäumen und Sträuchern
- Tiere, Teile von Tieren, tierische Produkte (darunter Honig, Milch und Fett), Getreide, Topfkräuter und Gemüse sowie „mit einer Schärfe begabte“ Kräuter
- Wurzeln, Säfte, Kräuter und Samen, „die sowohl dem gewöhnlichen als auch dem arzneilichen Gebrauch dienen“
- vorher nicht genannte Wurzeln und Kräuter, Schwämme und Pilze
- Weinsorten, Mineralien und andere anorganische Substanzen wie Erze, Steine und Erden.
Über 1600 Jahre dominierte dieses Werk weltweit die pharmakologischen Anwendungen vom Abendland bis hin zum Orient übersetzt in vielerlei Sprachen!
Die organische Chemie mit ihren analytischen Möglichkeiten der pharmakologischen Herstellung ersetzte dieses Werk im 19. Jahrhundert und drängten es in den Hintergrund.
Dies bedeutet, die pharmakologischen Produkte und Präparate finden erst seit knappen 20o Jahren Anwendung und sind im Vergleich deutlich jünger in den Anwendungserfahrungen im „klinischen Alltag“.
Galenos (129 – 199) war griechischer Arzt, Anatom, medizinischer Schriftsteller, Forscher und Universalgelehrter und vorwiegend in Rom tätig. Mit mehr als 200 Schriften zu den verschiedensten Bereichen – unter anderem der Pharmakologie aber auch Anatomie und Physiologie prägte er die Heilkunst bis ins 17. Jahrhundert.
Er sah den Menschen als Einheit von Körper und Seele und war bestrebt, die Hypothesen von Hippokrates als auch Platon nachzuweisen und bestätigen, dass die Seele die physiologischen als auch geistigen Vorgänge im Körper beeinflusst.
Avicenna (980 – 1037), persischer Arzt und vielseitig versiert, setzte ebenso auf die Heilkraft von Pflanzen.
Über 500 Jahre gehörten seine bedeutendsten Werke „Buch der Genesung (Kitāb aš-šifā’)“ und der fünfbändige Kanon der Medizin (Qānūn fī aṭ-ṭibb), zu den führenden medizinischen Lehrbüchern. Damit prägte er wesentlich das Verständnis der griechisch-römische Medizin, die er darin zusammen fasste.
Es ist faszinierend, mit welcher Hingabe all diese Persönlichkeiten ihr gesamtes Leben dem Streben widmeten, sich der Gesundheit, Genesung und Heilung hingaben, um die Mechanismen mit dem damaligen Möglichkeiten zu erklären und beschreiben.
Botanikärzte des 16. Jahrhunderts
Dank Holzschnitte und Buchdruck fanden die tradierten Handschriften weitere Verbreitung.
Leonhard Fuchs Mediziner, Übersetzer und Botaniker aus Deutschland, verfasste 1543 in Basel sein „New Kräuterbuch“ ein Werk in Deutscher Sprache mit über 500 Pflanzen – 400 heimische und 100 exotische. Er ist damit einer der Urväter der Pharmakognosie von heute.
Das deutsche Werk ist bis heute in der Österreichischen Nationalbibliothek zur Gänze erhalten. In den 1604 in erschienenen Opera didactica I ist die Leichenrede Georg Hitzlers[7] für Fuchs abgedruckt.
Er wurde von Herzog Ulrich von Württemberg, eine Professur der Medizin an der Universität Tübingen verliehen und wurde sieben Mal Rektor dieser Universität. Er führte botanische Exkursionen durch und legte einen Arzneipflanzengarten an. Dieser war der erste botanische Garten und weltweit einer der ältesten.
Zusammen mit Otto Brunfels und Hieronymus Bock zählt er zu den „Vätern der Botanik“
18. Jahrhundert – der Beginn der Organischen Chemie
Im 18. Jahrhundert gelang es, reine Wirkstoffe aus Pflanzen zu isolieren und die Fragen zu beantworten, was in den Vitalstoffgemischen der Pflanzen enthalten ist und tatsächlich Heilwirkung entfaltet.
1785 William Withering, war ebenfalls Mediziner und Botaniker und gehörte zur sogannten Lunar Society, eine von Erasmus Darwin gegründete naturwissenschaftlich ausgerichtete, versierte Gesellschaft mit Repräsentanten verschiedenster Studien-Richtungen.
Der Name wurde gewählt, da die Treffen immer bei Vollmond stattfanden, bedeutet, auch die Tages-, Monats- und Jahresrhythmen der Natur wurden deutlich anders integriert in die wissenschaftlich akademischen Betrachtungen als heute Tradition ist.
Es war seine Frau, die sein Interesse für die Botanik weckte. Die Pflanzenkunde bestimmte sein weiteres Forschen, Wirken und Publizieren.
Er analysierte 12 Mergelten chemisch – besonders Calciumcarbonat fand sein Interesse und dessen Einsatz in der Landwirtschaft.
Er widmete sich der Wassersucht und der diuretischen, harnfluss-steigernde Wirkung des roten Fingerhuts ob des Digitalis, beschrieb aber auch dessen toxische Wirkung in Form von Erbrechen. Die Wirkung auf die Herzfrequenz war zwar bekannt, dass dieser aber auch im Herzen seine Wirkung dank Digitalis entfaltet, war Withering noch unbekannt.
In Portugal analysierte er warme Heilquellen von Caldas da Rainha.
Er wurde ob seiner Errungenschaften und Erkenntnisse nicht nur in England sondern auch in Portugal in ehrwürdige Gesellschaften aufgenommen.
1805 gelang es F.W. Sertürner Morphin aus Opium zu gewinnen. Er war Apotheker in Einbeck in Deutschland. Bis heute wird Morphin aus der Pflanze gewonnen, da die Synthese nach wie vor zu teuer ist.
- 1805 wurde Morphin isoliert aus Mohn
- 1818 – 1827 Strychnin, Chinin, Ementin
- 1832 Codein
- 1833 Atropin
- 1848 Papaverin
- 1860 Cocain
- 1874 Heroin
- 1875 Digitoxin
- uvm.
20. Jahrhundert – Herstellung von Arzneimitteln aus Reinstopfen
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts war es möglich, synthetische Reinsubstanzen biotechnologisch herzustellen. Entgegen der Hoffnungen können auch synthetische, reine Arzneistoffe unerwünschte Wirkungen zeigen.
Am Beispiel der Erprobung des Schlafmittels Contergan zeigten sich Fehlbildungen von Embryos im Sinne eines Contergan-Syndroms zwischen 1958 und 1963 bei schwangeren Frauen. Dies war einer der Hauptgründe, weshalb gebärfähige Frauen aus Arzneimittel-Anwendungsstudien ausgeschlossen sind – zum eigenen Schutz aber auch zum Schutz des Frühgeborenen.
Pflanzliche Arzneimittel wurden als veraltet, obsolet und entbehrlich erachtet – Arzneidrogen, Tees, Tinkturen, Extrakte und ähnliches wurden als Volksmedizin zur Seite geschoben und Heilmittel, Kneipp-Therapien und ähnliches nicht mehr in medizinische Therapien integriert.
Dies ist unter anderem auch der Tatsache geschuldet, dass die Pharmakognosie nicht mehr Teil des Medizinstudiums ist – umso erfreulicher ist, dass die Ärztekammer dies im Sinne der gebotenen medizinischen Tradition kompensiert und hier eine fachliche Vertiefung sichert für Interessierte.
Nach einem kurzen Pausen-Intermezzo fand die Pflanzentherapie ab den 1960ern wieder zunehmende Beliebtheit bei den Patient:innen.
Ich bin jedenfalls dankbar für dieses Diplom, und mache mich auf Entdeckungsreise jenseits des Medicus, da dieser geschichtliche Exkurs und die angeführten Persönlichkeiten einiges an Inspiration in Sachen medizinsicher Therapien und Konzepte in sich birgt!
Lesen Sie im nächsten Health 4 Me – Blog morgen, was die Qualität von pflanzlichen Arzneimitteln ausmacht – was hier alles zu bedenken, worauf zu achten ist!
Aus Freude am Tun – für mehr Freude am Leben:
Gesundheit leben statt Krankheit fördern!
Dr.in Lucia Ucsnik, MAS, FECSM
Zentrum für PräventivMedizin, Ärztliche Leitung
Ärztin für Allgemein-, Präventiv-, Sexual-,
Stress- und PerformanceMedizin